Das alte Bauernhaus

Wann genau das alte Bauernhaus erbaut wurde ist nicht bekannt. Es muss um 1840 gewesen sein. Auf den alten Karten Zehlendorfs ist es nachweislich ab 1850 verzeichnet.

Die Feldsteine im Keller, die vorindustriellen Ziegel, die alten Balken, vieles deutet darauf hin, dass das Haus wahrscheinlich noch älter ist.

Wer dieses alte Bauernhaus erbaute, ist urkundlich nicht bekannt. Die ersten Fotos und Dokumente stammen aus der Zeit der Jahrhundertwende. Heute ist das Haus neben Kirche, Schule (heute Heimatmuseum) und Gasthof (heute Block House) eines von vier noch erhaltenen Häusern des historischen Zehlendorfer Ortskerns.

Im Laden und im Dachboden können Holzliebhaber die alten Brandenburger Kieferndielen mit über 30 cm Breite bewundern. An einigen Stellen im Haus sind sie noch in voller Länge, wie ein Baum, mit über acht Meter Länge erhalten. Die alten Lehm- und Tonziegeln der Wände sind handgeformt und stammen aus der vorindustriellen Zeit. Aus dem Verbund gelöst, kann man sie mit bloßen Händen zerbröseln, bautechnisch ein Problem, bauhistorisch beeindruckend.

Bis 1870 führte die damalige Hauptstraße am Rand des Zehlendorfer Ortskernsvor dem Haus entlang. Wer genau hinschaut, erkennt noch heute, wie der Abzweig des Teltower Dammes und die Machnower Straße auf der anderen Seite der S-Bahn eine Linie bilden.
Der große Umbruch rund um das Haus herum begann mit dem Bau der ersten preußischen Eisenbahnstrecke. Direkt vor dem Haus entstand der heutige S-Bahnhof. Die Hauptstraße wurde umgeleitet und führt seitdem durch die Bahnunterführung und nicht mehr am Haus vorbei. Bürgerhäuser wurden erbaut. Zehlendorf wurde zu einer Vorstadt zwischen Berlin und Potsdam.

Die Geschichte vom Kunstgewerbehaus

Es war Liebe auf den ersten Blick. Da stand mitten in Zehlendorf ein altes, heruntergekommenes Haus aus einer anderen Zeit. Dahinter ein verträumter, verwilderter Garten. Darin ein efeuumranktes Gartenhaus. Ein Idyll kurz vor dem Zerfall.

Als ich an diesen Ort kam, trug ich bereits einen Traum in mir, einen Traum von drei Häusern, die ein geschwungener Weg miteinander verband. Als ich das Kunstgewerbehaus und den Garten dahinter sah, spürte ich, dass es der Ort aus meinem Traum war. Hier sollen sich die drei Häuser treffen, ein Kunstgewerbehaus, ein Werkhaus und ein Gartenhaus. Hier sollen Menschen zusammenkommen können zum Einkaufen, Gestalten und Genießen.

Es brauchte noch viel Zeit, Geduld und viele helfende Hände, bis aus den Träumen Wirklichkeit wurde. Doch bevor ich davon erzähle, möchte ich erst von dem alten Haus selbst erzählen, mit dem ich inzwischen verwachsen bin.

Auf Gretchens Spuren

Im Zuge der Urbanisierung verwandelte sich im Jahre 1906 das alte Bauernhaus in ein Ladenhaus. In der Hofeinfahrt wurde ein Zwischenbau mit Laden errichtet, entworfen als Bindeglied zwischen dem alten, ländlichen und dem neuen bürgerlich, städtischem Baustil.

Gretchen Murach war es, die im Sommer 1930 hier das Kunstgewerbehaus Zehlendorf eröffnete. Frau Murach verkaufte Holzkunst aus dem Erzgebirge und anderes Kunsthandwerk aus der Region. Sie hat eigene Klöppelarbeiten verkauft und Stickvorlagen entworfen. Heute würde man sie Textildesignerin nennen. Zeit ihres Lebens war sie eine kreative, couragierte und engagierte Frau. Noch heute steht ihr Name an der Scheibe der Eingangstür.

In der Kriegs- und Nachkriegszeit von 1935 bis 1955 war ein Dach über dem Kopf Gold wert. Man kann es sich kaum vorstellen, wie oben im Dach zwei Familien (zusammen elf Personen) gewohnt und gelebt haben. Fotos und Erzählungen zeugen trotz aller Not von einer schönen Zeit.

Für Ellen Brieschke und Ingrid Licht, die seit Anfang 1980 bei Frau Murach als Verkäuferinnen arbeiteten, war Gretchen wie eine zweite Mutter. Sie haben sie bis ins hohe Alter begleitet und betreut. Die beiden übernahmen nach dem Tod von Gretchen Ende der 80er Jahre das Kunstgewerbehaus und setzten die damals bereits 60jährige Tradition fort.

Im Jahre 2003 übernahm dann ich, quasi in dritter Generation, das Kunstgewerbehaus. 
Erst waren es nur die Räume im rechten Hausteil zur Miete. Ein Jahr später ergab es sich, auch den linken Ladenteil zu übernehmen. Eine erste, behutsame Teilsanierung der Ladenräume war möglich. Aus einem dunklen, grauen Elektroladen wurde ein frischer, bunter Raum. Unter Schichten von PVC-Böden und Pressholzplatten wurden die alten Dielen wieder sichtbar. 
Im Oktober 2004 konnte ich dann auch das Gartenhaus anmieten. Endlich war genug Raum da, um die Ideen eines Gartenhaus-Cafés und eines Werkhauses mit Kursangeboten, Workshops und Kindergeburtstagen mit Leben zu füllen.

Altes Erhalten – Neues Gestalten

Das Projekt blieb jedoch über die ganze Zeit im Kern bedroht. Das Dach des Kunstgewerbehauses war undicht, Ausbesserungen halfen nicht mehr weiter. Mehrere Besitzerwechsel verzögerten dringende Sanierungsarbeiten. 2007 wurde das Dach provisorisch mit einer blauen Plane überzogen, was letzlich nur schadete. Der Regen lief trotzdem ins Haus durch die Decke, die Wände hinunter bis in den Keller. 2008 musste der Südteil des Daches von der Bauaufsicht geschlossen werden. Es bestand Einsturzgefahr. Mit meinem Drängen auf Sanierung hatte ich beim damaligen Besitzer des Hauses keinen Erfolg. Er entschied: In das Haus wird nicht investiert. Leerstand und Einsturz versprach aus Sicht eines internationalen Investors mittel- und langfristig eine höhere Rendite, weil aus Finanzsicht der Boden in zentraler Lage und nicht das alte heruntergekommene Haus den Wert ausmacht.

Ich wollte unbedingt das Haus und diesen besonderen Teil Zehlendorfs vor dem Zerfall retten. Wir rechneten und überlegten und reichten schließlich ein Kaufangebot ein. Es wurde abgelehnt. Der Zerfall schien unaufhaltsam. Obwohl alles aussichtslos schien, blieben wir dran. Dank der Hilfe von Freunden, einem fachlich fundiertes Sanierungsgutachten, der Weltfinanzkrise im Oktober 2008 und noch einigem mehr, gelang ein Umschwung. Im Rückblick kann ich sagen, dass es viele Zufälle oder Fügungen waren, dass unser Kaufgesuch am Ende doch noch auf Interesse stieß und wir Grundstück und Haus erwerben und vor dem Zerfall retten konnten.

Endlich war eine auf Langfristigkeit ausgerichtete Sanierung des denkmalgeschützten Hauses möglich. Bau- und Sanierungspläne wurden geschmiedet, Angebote eingeholt, die Pläne eng mit der Denkmalbehörde abgestimmt. Im Sommer 2009 begann dann die eigentliche Bauphase, die bis zum Sommer 2010 fast ein Jahr lang dauerte.

Das Ergebnis lässt sich sehen: Das Dach ist saniert und nach historischem Vorbild neu gedeckt. Die Fassade ist restauriert. Selbst der Stuck über dem Zwischenbau erstrahlt wieder wie neu. Auf der Gartenseite bringen drei neue Gauben, entworfen nach dem Vorbild der straßenseitigen Fledermausgaube, einen besonderen Schwung in die Dachansicht. Das Haus hat eine neue Heizung bekommen. Im Dachboden schafft eine in den Lehmputz integrierte Wandheizung ein ganz besonderes Raumgefühl.

 

Das Wichtigste zum Schluss

Ich bin froh, dass das Haus noch auf lange Zeit stehen bleiben wird und weiter von der Zehlendorfer Geschichte erzählen kann. Ich freue mich auch über die große Anteilnahme und Unterstützung, die ich in dieser Zeit des Bangens und Hoffens immer wieder von vielen Freunden, Bekannten und Kunden erhalten habe. Sie alle sind inzwischen mit dem Haus verwachsen und freuen sich mit uns, wie Altes Bestand hat und dabei so viel Neues entsteht.

Noch heute erlebe ich beinah täglich, dass sich Menschen freuen, weil sie hier etwas für sich entdecken, weil sie etwas wieder entdecken, weil sie das Besondere spüren, weil sie den Respekt vor der Einmaligkeit des Hauses und der Menschen, die hier wirken, für sich erkennen. Das tut gut.